Johann Sebastian Bach zog sich an diesem Tag warm an, denn er wollte zu Fuß ins knapp 400 Kilometer entfernte Lübeck laufen. Das kann man mal machen, wenn man 1705 eins seiner Vorbilder live erleben möchte, oder? In Bachs Fall war es Dietrich Buxtehude, der damalige Organist und Buchhalter der Lübecker Marienkirche und es war November und kühl draußen.
Bach selbst war damals ein 20-jähriger Organist an der Neuen Kirche im thüringischen Arnstadt bei Erfurt und Fan des damals berühmten Komponisten. Buxtehude galt zu dieser Zeit als Bester seines Fachs in ganz Norddeutschland und dem Ostseeraum.
In Lübeck erhielt er von Buxtehude Unterricht – für vier Wochen, so war es ausgemacht. Doch die Begegnung mit seinem Idol muss Bach so begeistert und beflügelt haben, dass er seine Studienzeit in Lübeck eigenmächtig und ohne Nachricht nach Arnstadt verlängerte. Und Buxtehude soll von Bachs Können fasziniert gewesen sein.
Einige Wochen später, es war das letzte Monatsdrittel des Februars 1706, kam Johann Sebastian Bach glücklich zurück nach Arnstadt. Dort wartete allerdings eine schlechte Nachricht, denn sein Vorgesetzter war überaus erzürnt über Bachs langes Wegbleiben – statt 4 Wochen waren es fast 4 Monate und dazu noch über Weihnachten! Anton Günter, Graf zu Schwarzburg und Hohnstein, Herr zu Arnstadt, Sondershausen, Leutenberg, Lohra und Plettenberg ließ Bach rügen und vernehmen, seinem Organisten nichts ausmachte – so erzählen es zumindest die Quellen. Laut „Protokoll des Konsistoriums Arnstadt vom 21. Februar 1706“ antwortete Bach auf die Frage, wo er gewesen sei: „Er sey zu Lübeck geweßen umb daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen.“
Möglich, dass Bach auch überlegte, der Nachfolger des alternden Lübecker Komponisten zu werden. (Auch beispielsweise Händel besuchte in diesen Jahren Buxtehude, vielleicht aus ähnlichen Gründen.) Doch Bedingung für die Amtsnachfolge war die Hochzeit mit Buxtehudes Tochter Anna Margareta. Bach war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon mit seiner Großcousine Maria Barbara Bach verlobt. 1707 heirateten sie und Buxtehude starb – beide Ereignisse passierten natürlich unabhängig voneinander.
Heute hat Johann Sebastian Bach seinem Vorbild Dietrich Buxtehude deutlich den Promi-Rang abgelaufen und doch bleibt er einer der Komponisten, zu denen Bach aufblickte, sich von ihren Werken inspirieren ließ und sie weiterentwickelte.
Ein solches Stück Buxtehudes, eine auskomponierte, wunderschöne Fassung von „In dulci jubilo“ probt gerade der Kirchenchor Ockenheim für Weihnachten: Am 26. Dezember 2022 werden wir den Weihnachtsgottesdienst um 10 Uhr in der Pfarrkirche St. Peter & Paul in Ockenheim feiern